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Leseprobe

1

  1. November 2023, 23:45 Uhr

 

Lara spürte eine eisige Kälte unter sich, als sie erwachte. Ihre Hände fuhren über einen kalten, feuchten Boden. Der Geruch von Staub und Moder hing schwer in der Luft und sie wunderte sich, denn so hatte es zu Hause noch nie gerochen.

Ihr Körper schmerzte, vor allem ihre Flanken. Mit rasendem Herz setzte sie sich langsam auf, hielt sich dabei die Seite und verzog ihr Gesicht, weil der Schmerz durch die Bewegung zunahm. Auch bei jedem Atemzug stach es ihr, so als bohrte sich etwas in ihre Lunge. Sie zwang sich ruhig zu atmen und ließ dann ihren Blick durch den dunklen Raum schweifen, bei dem es sich ganz sicher nicht um einen aus ihrem Haus handelte.

An den grob verputzten Wänden hingen viele Uhren, alte und neue, welche die riesig groß und andere die ganz klein waren. Seufzend sah sie zu dem kleinen, schmutzigen Fenster mit den dicken Gitterstäben. Es ließ nur wenig trübes Mondlicht herein, gerade so viel, dass Lara alles in dem Raum erkennen konnte.

»Wo bin ich?«, flüsterte sie leise. Ihre Gedanken waren wirr. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie in diesen Raum gekommen war, noch nicht einmal, wo sie davor gewesen war.

Ein Kälteschauer durchzog ihre Wirbelsäule, weil eine unheimliche Stille herrschte, die von einem leisen, bedrohlichen Knarren in der Ferne unterbrochen wurde. Sie lauschte angespannt, doch sie konnte nicht erkennen, was das Geräusch verursachte.

Die Düsterheit in dem Raum erdrückte Lara fast, und Angst übernahm die Kontrolle über ihren Körper, der so heftig zitterte, dass sogar ihre Zähne klapperten. »Hallo?«, rief sie zögerlich.

Niemand antwortete.

»Warum bin ich hier?«, fragte sie mit weinerlicher Stimme und versuchte noch einmal, sich zu erinnern. Sie schloss die Augen, doch es fing an sich alles zu drehen und weiße Blitze tauchten auf. Davon wurde ihr so übel, dass sie die Augen wieder öffnete. Sie wartete ab, bis der Schwindel vorüber ging und beschloss, erst einmal einen Ausweg aus diesem gruseligen Häuschen zu finden. Weil sie sich aber noch etwas schwach fühlte, schaute sie sich noch einmal genauer um.

Ein Gitter durchschnitt den sehr großen Raum. Lara befand sich in dem größeren Teil der beiden. In dem anderen standen eine Art Pritsche und ein Regal. Die Tür dahinter führte wahrscheinlich nach draußen.

Im hinteren Ende stand ein Boot, das total zerlöchert war. Die Farbe konnte Lara nicht mehr erkennen.

An die Wand war ein marodes Regal gestellt. Auf den sich durchbiegenden Brettern standen etliche Flaschen Wasser und unheimlich viele Dosen. Es sah aus, als könnten die Latten das Gewicht nicht mehr lange aushalten.

Lara saß auf einer Matratze und neben ihr waren noch drei andere aufgereiht, mit jeweils einer Decke darauf.

All das beunruhigte sie sehr, denn es sah irgendwie danach aus, dass jemand länger an diesem kalten Ort verweilen sollte.

Wohnte hier jemand? Und wenn ja, warum war sie dann hier? Das Beste war, dass sie schnellstmöglich verschwand.

Da ihre Kopfschmerzen und die in ihren Flanken nachgelassen hatte, wollte sie genau das in die Tat umsetzen. Sie hievte sich auf und schleppte sich zu der Gittertür. Diese war aus Metall und schwer.

Panik stieg in ihr auf, als sie sah, dass sie gar keinen Griff hatte. Wie soll ich rauskommen? »Hallo!«, schrie sie und hämmerte dagegen, in der Hoffnung, dass draußen Leute waren, die ihr helfen konnten. »Ich bin hier drin.«

Es fühlte sich an, als verschluckte die Dunkelheit ihre Rufe.

Sie blieb ganz ruhig und hoffte, etwas zu hören.

War das ein Rauschen, das von draußen in das Häuschen drang? So wie von Wasser?

Plötzlich ertönte hinter ihr ein Knarren, gefolgt von einem dumpfen Klicken.

Ihr Atem stockte.

War noch jemand im Raum? Oder etwas?

Erstarrt hielt sie inne, traute sich nicht, sich zu bewegen, nicht einmal zu atmen. Sie kniff die Augen zusammen, was totaler Blödsinn war, denn das machte sie nicht unsichtbar. Aber wenn es ein Monster war, wollte sie es nicht sehen. Sei kein Baby, es gibt keine Monster.

Ein leiser Atemzug erreichte ihr Ohr, das wie eine Drohung über ihr schwebte.

Ihre Gänsehaut verwandelte sich in eine schweißnasse Angst. »Wer sind Sie?«, flüsterte sie zitternd und erkannte ihre Stimme fast selbst nicht wieder. Ihre Hände tasteten erneut fieberhaft das Gitter ab, in der Hoffnung, dass sie zuvor nur den Griff vor Aufregung nicht gefunden hatte, auch wenn ihr Verstand bereits sagte, dass es keinen gab.

Jemand strich ihr über das Haar. »Hab keine Angst, du wunderschöner Engel. Du bist perfekt für das Ende. Du wirst der Körper sein.«

Lara brüllte vor Panik, weil die Gewissheit über sie hereinbrach, dass ein Fremder sie gefangen hielt. Ihr Atem wurde flacher, ihr Puls schneller. »Lassen Sie mich raus!«, forderte sie den Mann auf, der ganz nah hinter ihr stand. Sie spürte seinen kräftigen Herzschlag.

»Das geht leider nicht. Aber sei unbesorgt, du bleibst nicht lange allein.«

»Warum bin ich hier?«, fragte Lara zögerlich, obwohl sie gar nicht sicher war, ob sie es wirklich wissen wollte.

»Das wirst du noch sehen.« Der Mann drückte sie zur Seite.

Einen Augenblick lang verharrte Lara in ihrer Starre, weil sie nicht recht wusste, was sie tun sollte. Sie wusste nicht, mit wem sie es zu tun hatte. War der Mann gefährlich? Würde er sie umbringen, wenn sie nicht gehorchte?

Er stand vor dem Gitter und sah auf die Wand mit den Uhren. Sein Körper war groß und schlank. Sein Gesicht schimmerte blässlich, seine Augen hatten dunkle Ränder und sie glänzten. Es sah aus, als hätte er schon lange nicht mehr geschlafen oder seit Wochen geweint. Der Mann lächelte zwar, aber es wirkte gequält, fast schon so, als würde ihn etwas belasten. Seine Kleider trug er ganz in Schwarz, bis auf die Handschuhe, die waren weiß und leuchteten mit seiner Blässe um die Wette. Sein schwarzes Haar, hatte er offenbar mit zu viel Gel gestylt.

Lara überlegte, ob sie etwas sagen sollte, weil er gar nicht böse aussah. Vielleicht hatte er sie nur verwechselt und wenn sie ihm sagte, wer sie wirklich war, würde er seinen Fehler bemerken und sie frei lassen. »Es kann sein, dass sie mich vertauscht haben, ich bin Lara Fuhrmann. Bitte lassen Sie mich gehen.«

Er ging nicht auf ihre Worte ein, lief stattdessen zu der Uhrenwand und strich über jede einzelne. »Sind sie nicht wunderschön?« Er blieb vor einer großen Uhr stehen, die mehr wie eine Anzeigetafel wirkte. Schmunzelnd, so als sei er zufrieden, schaute er auf seine Armbanduhr. »0 Uhr. Ein neuer Tag startet und um 14:23 Uhr beginnt der Countdown.«